Mohammeds (A.S.V) Biographie
Die frühen Jahre; die vorprophetische Zeit (571–609)
Mohammed wurde in der arabischen Stadt Mekka als verarmtes Familienmitglied der Haschemiten aus dem bedeutenden vorherrschenden Stamm der Quraisch (Quraysh) nach dem Tod seines Vaters Abdullah geboren. Viele Muslime feiern Mohammeds Geburtstag – nach dem islamischen Mondkalender – am 12. Rabi' al-Awwal (25. April 571. Die meisten Schiiten hingegen gehen vom 17. Rabi' al-Awwal 52 v.d.H. aus. Demnach wäre Mohammed am 30. April 571 n. Chr. geboren. Die Datierung von Mohammeds Geburt auf das so genannte Jahr des Elefanten ist im Islam weit verbreitet. Wichtige historische Befunde sprechen jedoch gegen diese Datierung. Der Feldzug von Abraha fand vermutlich 552–554 n. Chr. statt.
Im Alter von sechs Jahren verlor Mohammed seine Mutter Amina. Anschließend lebte er bei seinem Großvater Abd al-Muttalib, nach dessen Tod kam er unter den Schutz seines Onkels Abu Talib (jüngerer Bruder seines Vaters) und seiner Cousins (unter anderem Ali ibn Abi Talib, der später Kalif wurde).
In jungen Jahren arbeitete Mohammed als Schafhirte, später nahm er angeblich an zwei Reisen der Handelskarawanen in den Norden (Syrien) teil. Auf einer Handelsreise in den Norden soll er – gemäß einer Prophetenlegende in seiner Biographie aus dem frühen 8. Jahrhundert – dem Mönch Bahira begegnet sein, der das Siegel des Prophetentums zwischen Mohammeds Schultern gesehen haben will und die Zeichen in ihm sah, die angeblich auch Juden und Christen in ihren Schriften hatten. Der Hinweis auf seine Handelsreisen, die die islamische Historiographie nicht eindeutig definiert, dient offensichtlich als „Rahmengeschichte“ zu seiner mysteriösen Begegnung mit Bahira, die in den islamischen „Prophetenlegenden“ (qiṣaṣ al-anbiyāʾ') ebenfalls Erwähnung findet.
Gegen 595 bot ihm seine damalige Arbeitgeberin, die 15 Jahre ältere zweifache Kaufmannswitwe Chadidscha bint Chuwailid (555?–619) aus dem angesehenen quraischitischen Geschlecht ʿAbd al-ʿUzzā, die Heirat an. Mit ihrer Hilfe erlangte Mohammed seine finanzielle Unabhängigkeit und soziale Sicherheit, eine Wende in seinem Leben. Auf diese Zeit nimmt auch eine mekkanische Sure im Koran direkten Bezug:
„Hat er (Gott) dich nicht als Waise gefunden und (dir) Aufnahme gewährt, dich auf dem Irrweg gefunden und rechtgeleitet, und dich bedürftig gefunden und reich gemacht?“
– 93:6–7
Gemäß der Koranexegese gehören diese Verse zu denjenigen Teilen des Korans, in denen Mohammed von Gott direkt angesprochen wird. Die Exegese versteht diese Beschreibung als Mohammeds gesellschaftliche Position in Mekka vor den ersten Offenbarungen der Prophetie.
Chadidscha war die erste Person, die an Mohammeds Botschaft geglaubt hat; die islamische Geschichtsschreibung betrachtet sie daher als die erste Muslimin in Mekka. Aus ihrer Ehe ging unter anderem seine Tochter Fatima hervor, die als einziges seiner Kinder selbst Nachkommen hatte. Von ihr stammen alle Nachfahren Mohammeds ab. Chadidscha, Ali ibn Abi Talib und Abu Bakr, der erste Kalif nach Mohammeds Tod, waren gemäß islamischer Tradition die ersten Muslime.
Die mekkanische Periode der Prophetie
Für Mohammeds erste Offenbarungserlebnisse ist die Prophetenbiographie (Sira) des Ibn Ishaq die wichtigste Quelle, die in den schriftlichen Überlieferungen der islamischen Historiographie mehrere Varianten – Interpolationen und Paraphrasen – hat. Sie sind in den Islamwissenschaften seit über hundert Jahren Forschungsgegenstand.
Mohammed pflegte alljährlich einen Monat auf dem Berg Hira in der Nähe von Mekka zu verbringen, um dort Buße zu tun. Gegen 610 soll ihm nach eigenem Bekunden der Erzengel Gabriel (arabisch „Dschibril“) erschienen sein. Ibn Ishaqs Bericht lässt Mohammed als Narrator der Episode in direkter Rede erzählen:
„Ich schlief, als der – der Erzengel Gabriel – mit einem beschriebenen Seidentuch zu mir kam und sprach: ‚Trag vor!‘ Ich antwortete: ‚Ich trage nicht vor.‘ Daraufhin drückte er mich in das (Tuch), daß ich glaubte, sterben zu müssen“. – Nach viermaliger Aufforderung fragte dann Mohammed: „Was soll ich vortragen? – und ich sagte dies nur aus Furcht, er werde mich wieder so fürchterlich bedrängen. Daraufhin sprach er …“
Es folgen Sure 96, Verse 1–5:
„Trag vor im Namen deines Herrn, der erschaffen hat, den Menschen aus einem Embryo erschaffen hat. Trag vor, …“
Ibn Ishaq fährt fort:
„Also trug ich es vor. Er ließ ab und verschwand, ich aber erwachte aus meinem Schlaf, und es war mir, als wären mir (diese Worte) fest in mein Herz geschrieben.“
Das erste Offenbarungserlebnis war also, so will es die islamische Prophetenbiographie, ein Traum, in dem Mohammed zur Rezitation eines angeblich geschriebenen, in anderen Überlieferungsvarianten gesprochenen Textes aufgefordert wurde.
Die ersten fünf Verse der Sure 96 stellen angeblich die Anfänge der Offenbarungen und damit den Anfang von Mohammeds Prophetie dar. Andere Traditionen dagegen wollen in der Sure 74, Verse 1–7 die Anfänge der Offenbarungen sehen. Mohammed war zu jener Zeit ungefähr 40 Jahre alt. Für diese Datierung spricht auch eine Stelle im Koran selbst, wo es heißt:
„Ich habe doch ein Leben (lang) unter euch verweilt, noch ehe er (d. h. der Koran) da war.“– 10:16
Man kann daraus soviel schließen, dass Mohammed vor Beginn der Offenbarungen bereits im gestandenen Mannesalter war; der Begriff 'ʿumran (dt. „ein Leben lang“) umfasst nach traditioneller Auffassung rund vierzig Jahre.
Anfangs, bis etwa 614 – so heißt es im eingangs erwähnten Bericht des 'Urwa an den Kalifen ʿAbd al-Malik ibn Marwān –, hatten die einflussreichen Vertreter der Quraisch keine Einwände gegen Mohammeds Lehren, die er sowohl öffentlich als auch insgeheim („sirran“) verbreitete. Erst als er die Idolatrie und den Polytheismus der Vorfahren angriff, bildete sich eine starke Opposition gegen Mohammed und seine Anhänger. Dies äußerte sich in einer Reihe von gewalttätigen Übergriffen auf die ersten Muslime in Mekka wie auch auf die Person Mohammeds selbst. Viele, so heißt es in diesem alten Bericht, hätten sich damals von Mohammed distanziert, und nur „wenige“ seien „standhaft“ geblieben.
Untersuchungen über diese frühmekkanische Periode der Prophetie haben aufgezeigt, dass die ersten Anhänger Mohammeds aus den niedrigen Sozialschichten der Stadt Mekka hervorgingen: die sog. „mustaḍʿafūn“, der sozial schwache Teil der handeltreibenden Bevölkerung Mekkas. Im späteren Verlauf der Ereignisse versuchten die Mekkaner den Muslimen durch einen Handelsboykott die Existenzgrundlage zu entziehen. Damit waren die öffentlichen Auftritte Mohammeds in Mekka beendet: er erhielt – nach den arabischen Stammesgesetzen – im Haus des Arqam ibn Abi Arqam in Mekka Schutz (um 614) und befahl – gemäß Darstellungen der Historiographie – einem Teil seiner Anhänger, nach Abessinien, damals Handelsplatz der Mekkaner, auszuwandern (um 615).
Die Geschichtsschreiber klassifizieren die ersten Muslime der mekkanischen Periode nach diesen Ereignissen: Muslime, die sich vor Mohammeds Einzug in das Haus von Arqam bekehrten, Muslime, die während Mohammeds Aufenthalt in jenem Haus den Islam annahmen und die „Auswanderer“ nach Abessinien.Die sozialen oder gar wirtschaftlichen Gründe für die Auswanderung von Mekkanern nach Abessinien werden in den arabischen Quellen der Frühzeit nicht oder nur in vagen Konturen als isoliert stehende Fakten beschrieben.
Die Zeit zwischen 616–622 in Mekka ist historisch also nur in ihren Konturen rekonstruierbar, denn die überwiegend widersprüchlichen Berichte der ältesten Historiographen sind nur teilweise mit der angenommenen Chronologie der mekkanischen Offenbarungen in der Koranexegese (tafsir) in Einklang zu bringen. Der Inhalt der mekkanischen Suren lässt darauf schließen, dass Mohammed sich zunächst als „Warner“ ( seines Volkes verstand, vieles am religiösen Status quo in Mekka duldete und einfache, für alle nachvollziehbare religiöse Pflichten einzuführen versuchte:
„Mir wird nur eingegeben, dass ich (lediglich) ein deutlicher Warner sein solle, nicht mehr.“– 38:70
„Selig sind die Gläubigen, die in ihrem Gebet demütig sind, (leerem) Gerede kein Gehör schenken, der (Pflicht der) Almosensteuer nachkommen und sich des Geschlechtsverkehrs enthalten, außer gegenüber ihren Gattinnen …“
–23:1–6
Mekka, sein Geburtsort, galt auch für ihn als heilig und – den Stammesgesetzen entsprechend – als Zuflucht für alle:
„Haben sie denn nicht gesehen, daß wir (im Gebiet von Mekka) einen heiligen Bezirk gemacht haben, der sicher ist, während die Leute in ihrer Umgebung (mit Gewalt) weggeholt werden?“– 29:67
Sein offenes Auftreten gegen die polytheistische Religion in Mekka trotz Anerkennung des höchsten Heiligtums auf der Arabischen Halbinsel – al-Kaaba –, seine gescheiterte Annäherung an die Bewohner der Stadt Ta'if, die Unterdrückung seiner Anhänger in Mekka, nicht zuletzt aber der Tod seines Beschützers Abu Talib und seiner Frau Chadidscha (gegen 619) waren die Gründe für die Aufnahme von Kontakten mit den Bewohnern von Yathrib als Vorbereitungsphase der „Hidschra“. Einflussreiche Bürger von Yathrib, das später „al-Madina“ (eig. „madīnat an-nabiy“, dt. „die Stadt des Propheten“) heißen sollte, boten Mohammed und seinen Anhängern nach den damals geltenden Stammesgesetzen Schutz und Sicherheit in ihrer Stadt und legten dies zwischen 621–622 vertraglich fest. Schon in der Retrospektive wird die Auswanderung nach Yathrib in einigen medinensischen Koranversen geschildert:
„Wenn ihr ihm (d. h. dem Propheten) keinen Beistand leistet (kann er doch auf die Hilfe Gottes rechnen), Gott hat ihm ja schon [damals] Beistand geleistet, als die Ungläubigen ihn zu zweit [aus Mekka] vertrieben. (Damals) als die beiden in der Höhle waren, und als er (d. h. Mohammed) zu seinem Gefährten sagte: ‚Sei nicht traurig! Gott ist mit uns.‘“
– 9:40
Dies ist eine klare Anspielung auf die Hidschra Mohammeds mit seinem Gefährten Abu Bakr; Einzelheiten darüber liefert später die Prophetenbiographie. Mohammeds Botschaft in Mekka scheiterte nicht nur an der Übermacht der Polytheisten, sondern auch am Verlust einer ausbaufähigen sozialen Basis in einflussreichen Kreisen der Stadt. Seine Ankunft in Quba', in der Nähe von Yathrib, wird – rückwirkend – auf den 12. Rabi’ I. des ersten muslimischen Mondjahres, auf den 24. September 622 datiert.